Als langjährige Heilpädagogin beschäftige ich mich täglich mit der Frage, wie wir Kindern am besten helfen können, ihre Entwicklungsschritte zu meistern und zu eigenverantwortlichen, empathischen Individuen heranzuwachsen. Ein kontroverses Thema, das immer wieder diskutiert wird, ist die Anwendung von Belohnung und Bestrafung als Erziehungsmittel. In diesem Blogartikel möchte ich die Vor- und Nachteile dieser Ansätze beleuchten und Ihnen Tipps geben, wie Sie auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse damit umgehen können.
Pro Belohnung:
Belohnung kann ein effektiver Weg sein, positives Verhalten zu fördern. Kinder fühlen sich durch Anerkennung und Belohnung motiviert, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Ein Lob für eine gute Leistung oder ein gelungenes Verhalten kann das Selbstbewusstsein stärken und die Bindung zwischen Kind und Erwachsenem festigen.
Contra Belohnung:
Kritiker argumentieren, dass übermäßige Belohnung externe Motivation schafft und Kinder nicht lernen lässt, intrinsisch motiviert zu handeln. Außerdem besteht die Gefahr, dass Kinder nur noch handeln, um Belohnungen zu erhalten, anstatt aus einem inneren Antrieb heraus. Dies kann auf lange Sicht ihre Fähigkeit beeinträchtigen, eigenständig und moralisch zu handeln.
Pro Bestrafung:
Bestrafung wird oft als Mittel zur Disziplinierung eingesetzt. Klare Regeln und Konsequenzen können Kindern Struktur vermitteln und sie auf Verantwortung vorbereiten. Einige Kinder reagieren positiv auf klare Grenzen und lernen aus den Konsequenzen ihres Handelns.
Contra Bestrafung:
Kritiker warnen davor, dass übermäßige Bestrafung Ängste und negative Emotionen bei Kindern auslösen kann. Statt Verständnis für ihre Handlungen zu entwickeln, könnten Kinder eine Abneigung gegenüber Autoritätspersonen entwickeln und das Vertrauen in die Beziehung zu ihnen verlieren.
Die kritischen Stimmen gegenüber Loben von Kindern:
Selbst das Loben von Kindern ist nicht unumstritten. Einige Experten argumentieren, dass übermäßiges Lob zu einem geringeren Selbstwertgefühl führen kann, da Kinder das Gefühl haben könnten, nur geliebt zu werden, wenn sie bestimmte Leistungen erbringen. Ein "gutes Kind" zu sein, sollte nicht von außen definiert werden, sondern aus einem authentischen Bedürfnis heraus entstehen.
Ratschläge nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen:
- Verständnis zeigen: Statt ausschließlich auf Belohnung oder Bestrafung zu setzen, ist es wichtig, Verständnis für die Bedürfnisse und Emotionen der Kinder zu zeigen. Kommunizieren Sie auf Augenhöhe und erklären Sie die Gründe für bestimmte Regeln und Konsequenzen. Beispiel: Wenn ein Kind sich weigert, die Hausaufgaben zu machen, könnten Sie mit ihm über mögliche Gründe sprechen. Vielleicht hat es Schwierigkeiten mit dem Fach oder es fühlt sich überfordert. Durch einfühlsames Nachfragen können Sie herausfinden, was das Kind gerade beschäftigt und wie Sie ihm helfen können.
- Förderung der Selbstregulation: Helfen Sie Kindern, ihre eigenen Handlungen und Emotionen zu verstehen und zu regulieren. Dies fördert intrinsische Motivation und Verantwortungsbewusstsein. Beispiel: Wenn ein Kind in einem Wutanfall Spielzeug wirft, könnten Sie ihm helfen, seine Gefühle zu benennen, sich selbst zu beruhigen und alternative Wege der Frustration zu finden. Zeigen Sie ihm, wie es durch tiefe Atemzüge oder das Ausdrücken seiner Emotionen auf angemessenere Weise reagieren kann. Im besten Fall zeigen Sie als Vorbild was Sie selbst tun um sich zu regulieren, wenn Sie dieses Gefühl erleben.
- Authentizität bewahren: Loben Sie Kinder, wenn es ehrlich und aufrichtig ist, und vermeiden Sie übertriebenes Lob. Achten Sie darauf, dass Lob an konkrete Bemühungen und Verbesserungen geknüpft ist. Beispiel: Wenn Ihr Kind stolz seine Kunstwerke zeigt, können Sie ihm aufrichtig sagen, was Ihnen daran gefällt, ohne übertriebenes Lob. Sie könnten sagen: "Ich sehe, wie viel Mühe du in dieses Bild gesteckt hast. Die Farben, die du gewählt hast, passen wirklich gut zusammen."
- Alternative Ansätze nutzen: Anstatt nur auf Bestrafung zu setzen, können Konsequenzen als natürliche Folgen von Handlungen dienen. Dadurch lernen Kinder, Ursache und Wirkung zu erkennen. Beispiel: Wenn ein Kind vergisst, sein Spielzeug wegzuräumen, könnten Sie es dazu anhalten, indem Sie ihm erklären, dass Spielzeug auf dem Boden liegen bleiben können und dann versehentlich kaputt gehen könnten oder jemand sich weh tut, wenn er darüber stolpert und hinfällt. Das Kind lernt so, die Konsequenzen seiner Handlungen zu erkennen.
- Kommunikation und Reflexion: Sprechen Sie regelmäßig mit den Kindern über ihr Verhalten, ihre Erfahrungen und ihre Gefühle. Dies fördert Empathie und unterstützt sie bei der Entwicklung ihrer emotionalen Intelligenz. Beispiel: Nach einem Streit mit einem Freund könnten Sie mit Ihrem Kind über die Situation sprechen. Fragen Sie, wie es sich gefühlt hat und welche Gedanken es darüber hat, was passiert ist. Dies hilft dem Kind, seine Emotionen zu verstehen und vielleicht auch Empathie für die Perspektive des Freundes zu entwickeln.
Logische Konsequenzen anstatt sinnlose Strafen – Lernen durch natürliche Zusammenhänge
Im Rahmen der erzieherischen Ansätze, die auf eine gesunde Entwicklung von Kindern abzielen, gewinnen logische Konsequenzen immer mehr an Bedeutung. Diese Methode basiert darauf, dass Kinder durch natürliche Zusammenhänge lernen und verstehen, wie ihre Handlungen Einfluss auf ihre Umgebung haben. Im Folgenden werde ich Ihnen das Konzept der logischen Konsequenzen näher erläutern und drei Beispiele aus dem Alltag vorstellen.
Was sind logische Konsequenzen?
Logische Konsequenzen sind eng verknüpft mit der Idee, dass Kinder aus ihren Handlungen lernen sollten. Anstatt eine Strafe aufzuerlegen, die oft nicht in einem direkten Verhältnis zur Tat steht, werden Kinder mit den natürlichen Konsequenzen ihres Verhaltens konfrontiert. Dies ermöglicht es ihnen, Ursache und Wirkung zu erkennen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Beispiel 1:
Ihr Kind vergisst regelmäßig, seine Hausaufgaben zu erledigen. Anstatt ihm eine Bestrafung aufzuerlegen, könnten Sie die logische Konsequenz nutzen. Das Kind könnte am nächsten Tag die unvollständigen Hausaufgaben nachholen und dadurch erfahren, dass Nichterledigung zu zusätzlichem Aufwand führt. Diese Erfahrung kann ihm helfen, die Bedeutung von Verantwortung und Planung zu verstehen.
Beispiel 2:
Ihr Kind zerbricht beim wilden Spielen eine Vase. Anstatt es auf das Zimmer zu schicken, erklären Sie ihm ruhig, dass sie nun etwas traurig oder wütend sind, weil sie die Vase sehr gemocht haben. Fragen Sie das Kind, was es nun tun könnte. Besprechen Sie mit ihm, dass es sinnvoll sein könnte, sich zu entschuldigen, die Scherben gemeinsam aufzuwischen und eine neue Vase kaufen zu gehen.
Beispiel 3:
Ihr Kind wird wütend und zerreisst die Zeichnungen eines anderen Kindes. Eine logische Konsequenz wäre nun, dass es sich mit einer selbst angefertigten Zeichnung persönlich bei dem anderen Kind entschuldigt. (Bei grossen Gefühlsausbrüchen muss mit der Konsequenz manchmal noch gewartet werden, bis das Kind sich beruhigt.)
Die Anwendung logischer Konsequenzen erfordert Einfühlungsvermögen und das Verständnis, dass Kinder auf natürliche Weise aus ihren Erfahrungen lernen sollen. Es ist wichtig, die Konsequenzen nicht in einem repressiven oder harten Ton zu präsentieren, sondern in einer Weise, die dem Kind ermöglicht, einen Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und den Ergebnissen herzustellen.
Logische Konsequenzen bieten eine wertvolle Alternative zu traditionellen Bestrafungen. Sie ermutigen Kinder, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen und aus den natürlichen Folgen zu lernen. Indem Sie die Idee der logischen Konsequenzen in Ihre Erziehung einbeziehen, unterstützen Sie die Entwicklung Ihrer Kinder hin zu eigenständigen, verantwortungsbewussten Individuen.
Schlussfolgerung:
Wie bei Vielem ist also auch beim Thema Belohnen und Bestrafen das richtige Mass entscheidend. Ausserdem ist und reagiert jedes Kind anders*. Je nach Eigenschaften und Charakter des Kindes (und der erwachsenen Person), lohnt es sich verschiedene Ansätze auszuprobieren und zu beobachten, wann und wodurch das gewünschte Verhalten gezeigt werden konnte.
Oft helfen auch "wenn..., dann..."-Pläne. Nicht als Drohung für das Kind, sondern als vorausschauende Handlungsplanung für einen selbst: "Wenn mein Kind das nächste Mal wieder..., dann werde ich folgendermassen reagieren...". So sind Sie bereit, wenn dieser Fall das nächste Mal eintritt und können gefasst und überlegt reagieren.
Abschließend möchte ich folglich betonen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, mit Belohnung und Bestrafung umzugehen. Jedes Kind ist einzigartig*, und eine einfühlsame, situationsabhängige Herangehensweise ist entscheidend. Als Eltern und Lehrer sollten wir stets authentisch bleiben und bei einem unguten Gefühl auf eine bestimmte Art zu belohnen oder bestrafen lieber alternative Wege ausprobieren. Denn am Ende zählt die gesunde Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und sozial kompetenten Persönlichkeit.
*Ein persönliches Beispiel dazu: Bereits als Kind war ich sehr sensibel und einfühlsam und wenn ich etwas zerbrach, tat es mir so leid, dass ich weinen musste. Im Gegensatz dazu meinte meine Schwester jeweils nur: "Kannst du ja neu kaufen...". Meine Mutter musste bei uns also unterschiedlich reagieren.
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